Radtour: Auf den Spuren der deutsch-deutschen Teilung
Teil 1: Vom Dreiländereck bis Ilsenburg am Harz
Dort, wo früher die unüberwindliche deutsch-deutsche Grenze verlief, kann man heute auf dem „Grünen Band“ wunderbar radeln. Neben schöner Natur und pittoresken Orten warten entlang der Strecke viele spannende Überreste der DDR-Grenzanlagen. Trotz 30 Jahren Mauerfall hat die Region noch ein Flair vom „Ende der Welt“ – ideal, um Menschenmassen zu vermeiden.
„Ist das ein Hochsicherheitsgefängnis?“ Die Frage eines ausländischen Freundes sagt eigentlich schon alles. Auf dem Foto sind die ehemaligen Grenzanlagen der DDR zu sehen: Doppelter Streckmetallzaun, Überwachungsbunker, KFZ-Sperrgraben, Wachturm. 30 Jahre nach Ende der deutsch-deutschen Teilung wirken die Relikte aus DDR-Zeiten unwirklich. Doch die jüngste Geschichte ist hier, an der 1400 Kilometer langen deutsch-deutschen Grenze, noch überraschend nah.
Dem gesamten Verlauf der ehemaligen Grenze zu folgen, ist die Idee dieser Radtour: Vom Dreiländereck mit Tschechien bis zur Halbinsel Privall an der Ostsee. Die Strecke zieht den Besucher bald unwiderstehlich in ihren Bann – durch ihre landschaftliche Schönheit und die zahlreichen Details zur Grenzgeschichte. Startpunkt ist Hof, von wo nach 16 hügeligen Kilometern bald das Dreiländereck bei Oberzech erreicht ist. Im Wald markieren Schilder die Grenze zwischen Sachsen, Bayern und der tschechischen Republik. Auf dem folgenden Abschnitt bekommt man bereits einen Eindruck vom „Flair“ der Strecke: Das ehemalige Grenzgebiet wirkt vielerorts immer noch abgelegen. Die hübschen Dörfer sind oft menschenleer, manche Gebäude sehen noch aus wie in DDR-Zeiten und die schmalen Landstraßen sind nahezu autofrei. Ein ungewohntes Bild im dicht besiedelten Deutschland – und ein Plus in Corona-Zeiten.
Nach ein paar Kilometern auf holprigem Lochplattenweg erreicht man den ersten Höhepunkt der Tour: Das ehemals geteilte Dorf Mödlareuth, auch bekannt als „Klein-Berlin“. Hier verliefen Zäune und Mauer mitten durch den Ort – ausschlaggebend für den Grenzverlauf war ein winziger Bach. Ein Teil der Grenzanlagen ist noch gut erhalten: Betonsperrmauer, Beobachtungstürme, Warnschilder, Suchscheinwerfer und Hundelaufanlagen vermitteln ein eindrucksvolles Bild der lücken- und gnadenlosen Überwachung des DDR-Regimes. Das deutsch-deutsche Museum daneben zeigt historische Fotos und hält zahlreiche Informationen bereit.
Idyllische Dörfer und der Alltag im Sperrgebiet
Weiter geht es bergauf und bergab, am hügeligen Ufer der Saale entlang bis in den hübschen Ort Blankenstein. Hier trifft man auf einen Abschnitt des Rennsteigs – was zunächst eine längere Steigung bedeutet. Doch dann hat man man das idyllische, saftig-grüne Hochland des thüringischen Schiefergebirges erreicht und durchquert malerische Orte wie Brennersgrün oder Lehesten, die mit ihren grau-getäfelten Schieferhäusern und pittoresken Kirchen wie kleine Freilichtmuseen wirken.
Durch ein abgelegenes Tal, das früher von der Grenze in zwei Hälften geteilt wurde, gelangt man ins bayrische Lauenstein. Hier gilt es, einen heftigen Anstieg zu überwinden, bis man sich auf Höhe der wuchtigen Burg befindet. Dahinter quert man mitten im Wald die ehemalige Grenze und folgt zwischen Tannen und dichtem Gesträuch dem ehemaligen Kolonnenweg. Ab Tettau geht es dann flott bergab, in einem langen Taleinschnitt am Flüsschen Tettau entlang bis ins bayrische Haßlach. Auf der Weiterfahrt trifft man immer wieder auf Überbleibsel der Grenze: etwa das verlassene Hotel „Grenzgasthof“, alte Wachtürme oder den Gedenkstein für das geschleifte Dorf Liebau: Es lag wie zahlreiche andere Dörfer der DDR „zu nah“ an der Grenze und wurde vollständig abgerissen, seine Bewohner umgesiedelt.
Von Neustadt bei Coburg geht es auf Feld-, Wald- und Wiesenwegen und winzigen Sträßchen mal auf der West-, mal auf der Ost-Seite der „Grenze“ entlang. Nach einem scharfen Knick nach Süden gelangt man ins „Viereck“ des thüringischen Rodachtals: Es war zu DDR-Zeiten auf drei Seiten von der Grenze umschlossen und gehörte vollständig zum Grenzsperrgebiet. Das Zweiländermuseum Rodachtal im malerischen Streufdorf beschreibt anschaulich den Alltag im Sperrgebiet. Aber auch die nahegelegenen Orte Bad Colberg, Heldburg und Ummerstadt lohnen mit ihren gut erhaltenen Fachwerkhäusern, Kirchen und Brunnen einen Zwischenstopp.
Über die Höhenzüge der Rhön ins Werratal
Im 20 Kilometer entfernten Zimmerau erreicht man wieder bayrisches Terrain. Hoch über dem Ort ragt wie ein Ufo der 38 Meter hohen Bayernturm auf. 1966 erbaut, bot er Besuchern aus dem Westen einen eindrucksvollen Blick auf die Grenzanlagen der DDR – und auch heute lohnt sich der Aufstieg. Anschließend radelt man gemütlich durch die leicht wellige Landschaft der thüringischen und fränkischen Vorrhön – vorbei an Kleinoden wie dem Wasserschloss Irmelshausen, dem alten Judenfriedhof bei Berkach und der Schlossruine Henneberg. Ein weiteres spannendes Freilandmuseum mit Resten der Grenzanlagen, schwarz-rot-goldenen Grenzmarkern und Warnschildern auf Westseite erwartet den Besucher bei Behrungen.
Allmählich nähert man sich den kargen Höhenzügen der Rhön. Die erste längere Steigung wartet vor Fladungen, direkt hinter dem hübschen Städtchen geht es weiter stetig bergauf. Schließlich ist der grasbewachsene Rücken des Heimatblick erreicht – mit 800 Metern der höchste Punkt der Tour. Hinter dem abgelegenen Frankenheim hat man die Bergetappe geschafft und saust hunderte Höhenmeter durch den Wald bergab, bis man das hessische Batten erreicht.
Hier ändert sich der Charakter der Landschaft schlagartig: Über 175 Kilometer folgt die Route der Ulster und später der Werra. Die Gegend ist deutlich besiedelter, die Radwege belebter, dafür gibt es so gut wie keine Steigungen zu bewältigen. Am Weg liegen zahlreiche historische Orte wie Tann vor der Rhön, Geisa oder das verschlafene Vacha, das mit seinen etwas verwitterten Bürgerhäusern fast noch wie eine Stadt zu DDR-Zeiten wirkt. Bei Geisa sollte man unbedingt einen Stopp an der Gedenkstätte „Point Alpha“ einlegen. Hier lagen sich der ehemalige US-Militärstützpunkt und die Überwachungsanlagen der DDR direkt gegenüber, die Vergangenheit ist noch hautnah zu spüren – und im „Haus auf der Grenze“ hervorragend dokumentiert.
Historische Fachwerkarchitektur und Symbole der Trennung
Stetig der Werra folgend, radelt man vorbei an unwirklich großen, weißen Kali-Hügeln, die mit ihrem Geruch die Gegend prägen. Es folgen zahlreiche historische Orte wie Creuzburg mit seiner mittelalterlichen Brücke, Treffurt mit der Burg Normannstein, Wanfried mit seinen alten Handelshäusern und schließlich das etwas größere Eschwege, dessen alter Stadtkern von weißen Fachwerkhäusern, schönen Kirchen und dem Landgrafenschloss geprägt ist. Schließlich gelangt man in den Kurort Bad Sooden-Allendorf, der neben schöner Fachwerkarchitektur auch noch ein Gradierwerk, Kurparks und zahlreichen mondänen Hotels zu bieten hat.
Anschließend verlässt man die Werra wieder, durch eine hügelige Landschaft mit kleinen Orten geht es weiter bis ins niedersächsische Duderstadt. Hier lohnt sich ein längerer Spaziergang: Die zahlreichen Fachwerkhäuser sind mit bunten Figurengruppen verziert, der Wiedervereinigungsbrunnen symbolisiert eindrucksvoll die Unüberwindbarkeit der Grenze und vom Westerturm bietet sich ein schöner Rundblick über die ganze Stadt.
Aber auch das nahegelegene Grenzlandmuseum Eichsfeld sollte man nicht verpassen. Es ist in einer ehemaligen Grenzübergangsstelle (GüSt) untergebracht, ein Großteil der Grenzgebäude, die wuchtigen Kraftfahrzeug-Schnellsperren und die Büros der Grenzbeamten sind noch original erhalten. Passend dazu serviert der „Grenzlandgrill“ typische Ost-Gerichte wie Soljanka oder „DDR-Schnitzel“ (panierte Jagdwurstscheiben).
Mit der rauchenden Schmalspurbahn auf den windigen Brocken
Nun nähert man sich einem der schönsten, aber auch anstrengendsten Abschnitte der Route: Hinter Walkenried mit seiner stimmungsvollen Klosterruine beginnt der schier endlose Anstieg in den Harz. Schließlich erreicht man den kleinen Ort Hohegeiß, quert hinüber nach Sachsen-Anhalt und radelt im leichten Bergauf und Bergab an der Harzer Schmalspurbahn entlang – vorbei an Orten mit so vielsagenden Namen wie Sorge und Elend. Im winzigen Drei-Annen-Hohne hat man die Wahl: Entweder steigt man in die historische, kräftig rauchende Schmalspurbahn auf den Brocken oder man legt die knapp 600 Höhenmeter mit dem Rad zurück.
Der Abstecher zum 1142 Meter hohen Gipfel, der zu DDR-Zeiten komplett im Grenzsperrgebiet lag, lohnt sich auf jeden Fall: Von dem kargen, windigen Hochplateau bietet sich ein weiter Rundblick, und die gepanzerten Gebäude mit ihren Kuppeln und Sendemasten, die Militär- und Abhöranlagen der Stasi enthielten, sind nach wie vor eindrucksvoll. Anschließend rollt man in langen Serpentinen mühelos bergab bis ins historische Wernigerode oder ins hübsche Ilsenburg. Hier endet der erste Teil des deutsch-deutschen Abenteuers. Den zweiten Teil der Route finden Sie hier.
Text und Fotos: Christine Amrhein

Praktische Tipps
Etappen
Hof – Dreiländereck: 16 km
Dreiländereck – Fladungen: 308 km
Fladungen – Ilsenburg: 331 km
Beste Reisezeit
Gute Jahreszeiten für diese Radtour sind der Frühling, Sommer und Herbst, etwa von April oder Mai bis September oder Oktober.
Radreiseführer
bikeline Radtourenbuch. Europa-Radweg Eiserner Vorhang. Deutsch-deutscher Radweg. Am „Grünen Band“ von Lübeck nach Hof. Autor: Michael Cramer. Verlag Esterbauer GmbH, 5. Auflage 2017, ISBN: 978-3-85000-672-9
Öffentliche Verkehrsmittel
in Hof
Bahnverbindungen nach ganz Deutschland
in Ilsenburg
Bahnverbindungen nach ganz Deutschland
Sehenswürdigkeiten entlang der Route
Deutsch-deutsches Museum Mödlareuth
Zweiländermuseum Rodachtal
Webseite: zweilaendermuseum.de
Bad Colberg, Heldburg
Kultur und Sehenswürdigkeiten in Bad Colberg und Heldburg
Infos zu Heldburg und Bad Colberg
Deutsch-deutsches Freilandmuseum Behrungen
Eschwege
Bad Sooden-Allendorf
Duderstadt
Harz / Brocken
Wernigerode
Ilsenburg
Übernachten
in Hof
Hotel Akropolis Pension
(gegenüber vom Hauptbahnhof)
Sedanstraße 1 1/2
95028 Hof
in Blankenstein
Café & Pension Am Rennsteig
Rennsteig 3
07366 Rosenthal am Rennsteig / Blankenstein
in Haig (bei Kronach)
Landgasthof Detsch
Coburger Str. 9
96342 Haig / Stockheim
in Bad Colberg
Landgasthof zum Seysingshof
Reussengasse 20
98663 Bad Colberg
in Heringen
Pension am Werraufer
Apothekerstr. 13
36266 Heringen
in Bad Sooden-Allendorf
Hotel Pension Haus Erika
Am Haintor 22
37242 Bad Sooden-Allendorf
in Drübeck (bei Ilsenburg)
Landhaus Tonmühle
Kutschweg 1a
38871 Drübeck / Ilsenburg
Änderungen aufgrund der aktuellen Corona-Situation sind möglich. Am besten erkundigt man sich direkt vor Ort.