Auf den Spuren der Mauer: Einmal um West-Berlin
Dem Verlauf der Berliner Mauer folgt diese 160 Kilometer lange Route: Quer durchs Stadtzentrum mit den bekannten Symbolen der Teilung, entlang der ruhigen Stadtkante, durch die Seenlandschaft um Potsdam und wenig bekannte Viertel am Stadtrand. Dank zahlreicher Infotafeln, historischer Überreste und Gedenkstätten ein spannender Streifzug durch die Geschichte. 28 Jahre lang trennte die Berliner Mauer Ost- und West-Berlin. West-Berlin war eine Insel mitten in der DDR. Doch wo verlief die Grenze eigentlich genau? Das herauszufinden, ist nicht schwer: Die gesamte Strecke entlang der ehemaligen Mauer ist fahrradfreundlich ausgebaut, der Weg ist gut ausgeschildert und folgt oft genau dem Grenzverlauf.
Start der Route ist das Brandenburger Tor. Von hier geht es an bekannten Orten der deutschen Teilung vorbei: am Potsdamer Platz, dem Martin-Gropius-Bau mit den Mauerresten an der Niederkirchner Straße, dem Checkpoint Charlie und dem Axel-Springer-Gebäude. Immer wieder fällt die doppelte Kopfsteinpflaster-Reihe auf den Straßen ins Auge: Sie markiert den exakten Verlauf der Mauer. Es folgen geschichtsträchtige Orte in Kreuzberg: die St.-Michael-Kirche mit dem Engelsbecken, der Bethaniendamm mit dem Künstlerhaus Bethanien: Hier wurde die Stadt brutal von der Mauer zerschnitten, in den verlassenen Nischen tummelten sich Aussteiger und Künstler.
Auf einer Brücke überquert man die Spree und folgt der Touristenmeile Eastside Gallery bis zur Oberbaumbrücke, wo es wieder zurück nach Kreuzberg geht. Heute Ausgehmeile, früher verlassenes Grenzgebiet: Auf der Schlesischen Straße erreicht man den Landwehrkanal, an dem entlang früher die Mauer verlief. Durch ruhige Wohnstraßen von Alt-Treptow verlässt man allmählich das bekannte Berlin. Immer wieder stößt man auf Gedenktafeln für die Maueropfer mit eindrucksvollen Geschichten ihrer Fluchtversuche. Dazwischen hier und da Grenz-Denkmäler und Informationstafeln zu besonders spannenden Orten entlang der Grenze.
Von Spionage, Grenzübergängen und Fluchttunneln
Hinter dem früheren Grenzübergang Sonnenallee radelt man ein Stück am Britzer Zweigkanal entlang, dann folgt ein längeres, etwas eintöniges Stück zwischen Autobahn und Teltow-Kanal. An der Grünanlage Rudower Höhe steht noch ein längeres Stück der Mauer. Kurz dahinter informiert eine Tafel über den Berliner Spionagetunnel: Hier hörten der amerikanische und britische Geheimdienst elf Monate lang Telefongespräche in der DDR ab.
Jetzt ist man bereits am Südrand Berlins und folgt dem Grenzverlauf nach Westen. Die „harte Stadtkante“ ist hier an vielen Stellen noch gut zu erkennen: Rechts die Wohnsiedlungen Berlins, links nichts als freie Felder, Wiesen und Wald. Viel zu sehen gibt es hier nicht – dafür kommt man auf den glatten Teer- und Schotterwegen gut voran. Unterwegs quert man die Zugangsstraße zum früheren DDR-Flughafen Schönefeld, der auch für Passagiere aus West-Berlin zugänglich war, und streift die grauen Wohntürme der Gropiusstadt.
Nach einer Weile ist der Teltow-Kanal erreicht, wo im Wald Reste des alten Grenzzauns langsam verwittern. Entlang des dicht bewachsenen Kanals geht es weiter ins beschauliche Zehlendorf. Hier erinnert eine Tafel an den Fluchttunnel, der mitten in einem Wohngebiet gegraben wurde – allerdings im Auftrag der Stasi, die so fluchtwillige DDR-Bürger entlarven wollte.
Schicke Villen am See und die Absurditäten der Grenze
Kurz darauf ist man auf dem Königsweg, der schnurgerade zum ehemaligen Grenzübergang Dreilinden führt. Von der Brücke über die Avus ist der Platz mit den Grenzkontrollgebäuden gut zu erkennen, ein Stück weiter südlich kann man an der früheren DDR-Grenzübergangsstelle Drewitz das Museum Checkpoint Bravo besichtigen. Weiter dem Königsweg folgend, trifft man auf die Ruine der alten Stammbahnbrücke und quert den rissigen Teer einer alten Autobahnbrücke, die wegen ihrer Nähe zur Grenze stillgelegt wurde.
Nach einem weiteren Abschnitt am Teltow-Kanal ist Griebnitzsee erreicht, wo die Absurdität des Grenzverlaufs besonders deutlich wird: Ein Teil der kleinen Villen-Siedlung gehörte zu West-Berlin, der übrige Teil zur DDR. Hier waren die für Ostblock-Verhältnisse schicken Villen durch die Mauer vom Ufer des Griebnitzsees getrennt. Direkt daneben liegt die West-Berliner Exklave Steinstücken: Sie war komplett von DDR-Gebiet umgeben – erst 1972 machte eine schmale Verbindungsstraße den Zugang zum übrigen West-Berlin wieder möglich.
Nun beginnt ein landschaftlich und kulturell besonders reizvoller Abschnitt der Route: Entlang des Seeufers erreicht man den Schlosspark Babelsberg, fährt an Jagdschloss und Schloss Glienicke vorbei und erreicht die imposante Glienicker Brücke – den legendären Austauschort für Spione aus Ost und West. Am Ufer des Jungfernsees reiht sich ein historisches Juwel ans andere: Die Matrosenstation Kongsnaes, das Schloss Cecilienhof – Ort der Potsdamer Konferenz, bei der 1945 Churchill, Truman und Stalin zusammenkamen – und die alte Meierei Potsdam. Nach der etwas langwierigen Umrundung des Sees gelangt man zu Schloss Sacrow und zur Sacrower Heilandskirche, einem weiteren Symbol der Teilung: DerenTurm, von West-Berlin aus gut sichtbar, war direkt in die Mauer eingebaut.
Abgetrennt: West-Berliner Exklaven
Nun geht es wieder Richtung Norden, leicht hügelig durch dichten Wald und am Ufer des Großglienicker Sees entlang. An seiner Nordseite trifft man wieder auf eine Gedenkstätte mit Resten von Mauer und Grenzzaun. Nach einem längeren Stück an der großen Potsdamer Chaussee radelt man durch hohes Gras und Hecken entlang der Stadtkante, quert ein paar Wohngebiete von Staaken – wo der Grenzverlauf noch am unterschiedlichen Straßenbelag erkennbar ist – und trifft an der Spandauer Straße auf eine große Bildergalerie, die das Leben mit der deutschen Teilung lebendig werden lässt.
Auf ruhigen, abgelegenen Wegen gelangt man zur West-Berliner Exklave Eiskeller, eine kleine Siedlung aus Pferdehöfen und Schrebergärten, die früher mitten im DDR-Gebiet lag. Es folgt eine längere Strecke durch Feuchtland und Wald – hier im Nordwesten Berlins verlief die Grenze zu großen Teilen mitten in der Natur. Am Ufer der Havel stößt man auf die beiden Schrebergarten-Siedlungen Erlengrund und Fichtewiese: Sie gehörten gerade noch zu West-Berlin und konnten nur durch ein Tor in der Mauer betreten werden. Nun folgt man dem idyllischen, mit Bäumen, dichten Hecken und Bootsstegen gesäumten Ufer der Havel, bis man Hennigdorf mit seinem kleinen historischen Zentrum erreicht.
Wieder geht es längere Zeit mitten durch die Natur, direkt am Stadtrand von Frohnau entlang. Von Stadt ist hier wenig zu bemerken, dafür trifft man zwischen hoch stehenden Wiesen und Alleebäumen kaum einen Menschen. Interessant ist die Invaliden-Siedlung mit ihren gleichartigen roten Backsteinhäusern: Sie lag am äußersten nördlichen Zipfel West-Berlins und war auf zwei Seiten von der Mauer umgeben – direkt dahinter das ostdeutsche Hohen Neuendorf.
Bornholmer Brücke: Der erste geöffnete Grenzübergang
Etwas weiter östlich liegt mitten im dichten Wald der ehemalige Grenzturm Hohen Neuendorf. Reste des Grenzzauns und Informationstafeln mit alten Fotos erinnern an die Geschichte dieses Grenzabschnitts. Dahinter umrundet man auf holprigem Kopfsteinpflaster den kleinen Hubertussee und gelangt in ein ruhiges Wohngebiet von Glienicke Nordbahn. Hier liegt der berüchtigte „Entenschnabel“: Ein schmaler, zur DDR gehörender Straßenzug, der mitten ins West-Berliner Gebiet hineinragte.
Durch die sandige, karg bewachsene Landschaft des Tegeler Fließtals geht es noch mal ein ganzes Stück nach Osten, bevor der Weg beim Dorf Lübars nach Süden abknickt. Nun ist in der Ferne schon der Fernsehturm am Alex zu erkennen – die „City“ ist also nicht mehr allzu weit. Durch Wiesen und Felder entlang der Bahnschienen sind bald die Ausläufer des Märkischen Viertels erreicht. Hier steht die Metall-Skulptur „Berlin Bird“, die ein Künstler 1988 auf der Westseite der Mauer aufstellte. Nun folgt man längere Zeit einem Radweg entlang der S-Bahn-Schienen, auch die Umgebung ist unspektakulär.
Wieder interessanter wird es an der Bornholmer Brücke, dem ersten Grenzübergang, der 1989 geöffnet wurde. Am Platz des 9. November 1989 seitlich der Brücke erinnern große Foto-Tafeln und Metallbänder im Boden an die dramatischen Abläufe am Tag der Maueröffnung. Kurz darauf quert man den Mauerpark mit bunt besprühten Resten der Hinderlandmauer und erreicht die Bernauer Straße, an der sich die bekannte Gedenkstätte Berliner Mauer mit zahlreichen Informationstafeln und riesigen historischen Fotos auf den Hauswänden erstreckt.
Zurück ins historische Herz Berlins
An der Kreuzung zur Gartenstraße muss man genau schauen, um den etwas versteckten Park am Nordbahnhof zu finden – das frühere Gelände des Nordbahnhofs, der wegen seiner Lage im Grenzbereich vollständig abgerissen wurde. Auch hier steht noch ein längeres, mit Graffiti überzogenes Stück der Mauer.
Vorbei an der Chausseestraße gelangt man zum Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal. Wo früher die Grenze verlief, kann man heute auf einem Rad- und Fußweg bequem am Kanal entlangradeln. Hier steht noch ein alter Wachturm mit einer Gedenktafel für Günther Litfin – dem ersten Todesopfer der Mauer. Der angrenzende, 250 Jahre alte Invalidenfriedhof wurde durch die Mauer in zwei Hälften geteilt, die meisten der Gräber geräumt.
Nun ist man wieder zurück im Herzen Berlins. Entlang des Alexander- und Kapelle-Ufers geht es vorbei an bekannten Wahrzeichen der Stadt: dem Hauptbahnhof, dem Paul-Löbe- und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und schließlich rund ums Reichtstagsgebäude. Nach einem kurzen Eck durch den Tiergarten ist man am Ziel – und zugleich am Ausgangspunkt der Route: am Brandenburger Tor, dem bekanntesten Symbol der deutschen Teilung.
Text und Fotos: Christine Amrhein
Praktische Infos
Angaben zur Route
Gesamtstrecke: ca. 160 km
Mauerabschnitt zwischen West- und Ost-Berlin: ca. 40 km
Brandenburger Tor – Griebnitzsee: 69 km
Griebnitzsee – Hennigsdorf: 58 km
Hennigsdorf – Brandenburger Tor: 40 km
Radführer
bikeline Radtourenbuch: Berliner Mauer-Radweg. Esterbauer Verlag, 10. Auflage 2022
Öffentliche Verkehrsmittel
An vielen Stellen entlang der Route bestehen Anschlussmöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Berlin. Die einzelnen Abschnitte im bikeline-Führer starten und enden jeweils in der Nähe einer S-Bahn-, U-Bahn- oder Straßenbahn-Haltestelle.
Infos zum Berliner Mauerweg und Sehenswürdigkeiten entlang der Route
Infos zur Berliner Mauer und Gedenkstätten entlang der Mauer: www.berlin.de/mauer
Infos zum Berliner Mauerweg: www.berlin.de/mauer/mauerweg
Checkpoint Bravo e. V., Erinnerungs- und Begegnungsstätte Grenzkontrollpunkt Drewitz – Dreilinden: www.checkpoint-bravo.de
Schloss Cecilienhof, historische Stätte der Potsdamer Konferenz: www.spsg.de/schloesser-gaerten/objekt/schloss-cecilienhof
Heilandskirche Potsdam-Sacrow: www.heilandskirche-sacrow.de
Ehemaliger Grenzturm Hohen Neuendorf: hohen-neuendorf.de/de/ehemaliger-grenzturm
Infos zum ehemaligen Grenzübergang Bornholmer Straße und Platz des 9. November 1989: berlin.de/mauer/orte/ehemalige-grenzuebergaenge/bornholmer-strasse/ und berlin.de/mauer/orte/museen-und-ausstellungen/open-air-ausstellung-am-platz-des-9-november-1989/
Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße: www.stiftung-berliner-mauer.de/de/gedenkstaette-berliner-mauer
Übernachten
Berlin-Lichterfelde
Pension Haus Graf, Geraer Str. 32c, Tel.: 030-7117947
Potsdam
Altstadt Pension Potsdam, Charlottenstr. 89, Tel.: 0331-5854070, potsdam-pension.de
Spandau
Hotel Kallmeyer, Seegefelder Str. 75, Tel.: 030-3332272, www.hotel-kallmeyer.de
Hohen Neuendorf
Hotel zum Grünen Turm, Oranienburger Str. 58, Tel.: 03303-29690 oder 501669, gruenerturm.de
Berlin-Gesundbrunnen
EigenArt Appartements, Neue Hochstr. 53, Tel.:030-46507501, www.eigenart-appartement.de